Lust auf Leistung ohne Noten

Schülerinnen und Schüler wollen Rückmeldungen auf ihr Lernen. Doch: Nicht in Form von Noten, sondern gezielten Reflexionen über das eigene Lernen und Gesprächen mit der Lehrperson.

Maurizio Sederino

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und jede Schule soll Kinder und Jugendliche für das Leben in unserer Gesellschaft vorbereiten. Aus diesem Grund müssen Leistungen und Leistungsziele verlangt werden. Kinder und Jugendliche wollen gefördert und gefordert werden. Die Schule soll gesteckte Lernziele durch Lernkontrollen überprüfen und Lehrpersonen anhalten, immer wieder Rückmeldungen zu geben. Kinder, Jugendliche und Erwachsene wollen sich vergleichen und messen. Man denke nur an Sport und Spiel. Daneben ist auch die soziale Anerkennung für jeden Menschen bedeutend. Etwas geschafft zu haben, besser zu sein als der Vater im Tischtennis, etwas Können, das man vorher nicht konnte, ist die Triebfeder fürs weitere Wollen. Die Schule muss die Lust, die Neugier und das Interesse fürs Lernen und Können wecken.

Mit der 3-D Brille beobachten

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Doch: Der Lohn, etwas geschafft zu haben, muss nicht als Ziffer mitgeteilt werden. Im Lehrplan 21 sind die Grundanforderungen in jedem Fach und in jedem Zyklus ausführlich beschrieben. Werden diese Minimalziele erreicht, und dies ist fast immer der Fall, ist die Note überflüssig und die Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie die Mindestanforderungen erfüllt haben. Das weitere Lernen gehört der Kür.

Lehrpersonen sollten ihre Schülerinnen und Schüler einerseits sehr gut kennen lernen und andererseits individuell mit einer «3-D-Brille» begutachten, nämlich in ihrem Lernen, ihrem momentanen Können und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung.

Mit dem Lernen meine ich das Lernniveau, die Lerngeschwindigkeit, den Lernrhythmus – ausgerichtet auf das persönliche Lernziel.

Unter Können sind die im Lehrplan 21 beschriebenen Kompetenzen gemeint.

Persönlichkeitsbildung soll insbesondere durch Reflexion und Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern erfolgen. Zur Persönlichkeitsbildung gehören Empathie, Teamfähigkeit, Respekt, Fairness, Aufrichtigkeit, Flexibilität, Begeisterungsfähigkeit (Mut, Sinn, Werte, Ehrgeiz), Durchhaltevermögen (Disziplin, Selbstvertrauen), Konzentrationsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Weitsicht und vieles mehr.

Die mathematische Formel

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Leistungen sind immer eine Funktion von WOLLEN x KÖNNEN x MÖGLICHKEITEN.

Mozart ist ein gutes Beispiel, um dies zu veranschaulichen. Mozart war sehr motiviert: Dafür erhält er die Note „Eins“ im Wollen.

Er war extrem begabt: Dafür gibts eine „Eins“ im Können (die Note Eins entspricht in Österreich, dem Heimatland Mozarts, der Schweizer Bestnote Sechs) und er wuchs in einer musikalischen perfekten Umgebung auf: Das gibt nochmals eine „Eins“.

Eins mal eins mal eins gibt die Bestnote, die Eins. Stellt man sich vor, Mozarts Vater hätte ihn nur halb so stark gefördert: Eins mal eins mal 0,5 gibt 0,5. Wir hätten einen Mozart mit halber Leistung. (Lutz Jänke, Professor für Neuropsychologie, Zürich).

Die Leistungsbereitschaft ist verschieden

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Was ein Kind/Jugendlicher/Erwachsener will, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Der frühen Prägung, der Erziehung, dem aktuellen Umfeld, der persönlichen und beruflichen Situation, von besonderen Bedürfnissen und gesetzten Ziele .

Es ist demnach nicht so, dass alle dasselbe wollen und dadurch in der täglichen Arbeit auch nicht dieselbe Leistungsbereitschaft mitbringen. Die grosse Herausforderung in der Arbeit mit Kindern ist es, das Wollen zu wecken, also die Motivation. Wollen ist die grundlegende Bedingung für Leistung – doch das allein reicht auch noch nicht.

Die Leistungsfähigkeit bedingt Kenntnisse

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Wer etwas tun will, muss es auch tun können, d. h. er und sie brauchen Wissen, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung. Dies wird einerseits durch den Erwerb von fachlichen Kompetenzen und Qualifikationen erreicht, andererseits aber auch durch persönliche Kompetenzen wie Selbst- und Sozialkompetenz.

Das Fördern und Fordern von Schülerinnen und Schülern durch gezielte Bildung und Ausbildung oder Coaching trägt einen grossen Teil dazu bei, leistungsfähiger zu werden. Ob jemand will, kann man daran erkennen, ob er bereit ist, sein Können zu steigern, also zu lernen.

 Die Leistungsgrundlagen sind vererbt

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«Wie die Mutter so die Tochter – wie der Vater so der Sohn», sagt der Volksmund. Und sehr oft ähneln Kinder tatsächlich in vielen Belangen ihren Eltern. Vor allem körperliche Merkmale werden vererbt. Der Bauplan des Lebens liegt in den Genen und diese bestimmen mit, was aus uns wird. Ungefähr 25.000 Gene befinden sich auf den Chromosomen.

Doch was haben Gene mit der Entwicklung unserer Persönlichkeit zu tun? So scheinen uns Temperament, Ängstlichkeit oder Aggressivität in gewissem Maße mit in die Wiege gelegt zu werden. Die Ausprägung aber, diese wird am Ende stark von der Umwelt beeinflusst.

Theoretisch also wissen oder wüssten wir heute nun einiges darüber, wie Leistungen entstehen - und wie man sinnvolle Rückmeldungen darauf geben könnte. Ob oder wieviel schulische Leistungen am Ende aber auch zu Glück und Erfolg und einem gelungenen Leben führen, das ist eine andere Frage.