Liebe Lehrerinnen und Lehrer - geht es nicht auch ohne Stress?

Aurelia Hagenmayer besucht die Oberstufe einer Schule im Kanton Bern und hat ihren Lehrpersonen einen Brief geschrieben. Denn: Die meisten Schülerinnen und Schüler in der Klasse leiden unter Stress vor den Tests. Das zumindest beobachtet Aurelia. Sie stellt den Brief mit Originaltext der Lernbewegung zur Verfügung,um eine Diskussion zum Thema anzuregen - und beantwortet uns nachfolgend ein paar Fragen.

Liebe Lehrerinnen, liebe Lehrer

 Am Montag habe ich sehr positive Neuigkeiten bezüglich den Bewertungen vernommen. Da wäre mein Brief eigentlich nicht mehr nötig. Da ich ihn nun schon geschrieben habe und es mir wirklich ein grosses Anliegen ist, auch für alle Kinder und Jugendliche, welche nach mir noch in die Schule gehen, habe ich ihn Ihnen nun trotzdem geschickt.

Ich schreibe Ihnen bezüglich dem Stress. Ich habe nämlich eine Bitte...für die ganze Klasse… für die ganze Schule...

 Seit den letzten Sommerferien, länger bin ich ja noch nicht an der Schule, haben wir in der Klasse einige Lektionen damit verbracht, über das Thema Stress zu sprechen. Es kam immer heraus, dass fast die ganze Klasse unter Stress vor den Tests leidet. Ich finde das ein schlimmes Ergebnis.

Als wir das erste Mal über dieses Thema sprachen, fand ich es gut, dass wir in der Schule über dieses uns allen bekannte und leider allgegenwärtige Thema sprechen. Doch als wir dann nach den Winterferien schon wieder Lektionen damit verbrachten und auch noch die Schulsozialarbeiterin kam, dachte ich mir, wieso schon wieder? Ich fühlte mich nicht ernst genommen. Wenn wir alle paar Wochen dasselbe Thema besprechen müssen, zeigt dies doch, dass etwas Grundsätzliches nicht stimmt, dass es nichts bringt, dass man so nicht weiter kommt. Ich finde das sehr ermüdend. Wir bekamen jedes Mal Blätter oder erarbeiteten sie selbst, mit Theorien, wie man am besten Stress vermeiden oder abbauen kann. Am nächsten Tag bekamen wir trotzdem 3, 4 Tests für die nächste Woche angesagt. Wie kann man da an entspannen denken? 

Nun, schon bald ist Notenschluss. Ich nehme an, dass Sie wegen dem Fernunterricht nicht alle geplanten Tests durchführen konnten und die, sobald die Schule wieder offen ist, nachholen wollen. Das kann ich auch verstehen. Vielleicht müssen Sie sowieso noch einige Noten verteilen, da Sie noch zu wenig haben, so wie vor dem Notenschluss für die Gymnasiumaufnahme.

Ich bitte sie nun, miteinander zu sprechen! Ein bisschen zu planen! Ich glaube Sie würden damit sehr vielen einen großen Gefallen tun. Es wäre wirklich sehr nett von Ihnen und ich würde mich sehr freuen, wenn es Ihnen gelingt, dass wir nicht alle Tests auf einmal oder in der letzten Woche haben, dass wir nicht so einen mega Stress beim Lernen haben. Sie könnten auch stolz darauf sein. Bitte sprecht miteinander! Wollen sie uns wirklich so einen Stress antun?

Ich wünsche Ihnen ein gutes Gelingen und bleiben Sie gesund!

Liebe Grüsse 

Aurelia

 P.S. Würden Sie an unserer Stelle sein wollen?

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“Die Schule sollte ein Ort sein, an dem Wissen ausgetauscht und nicht eingetrichtert wird”

Interview: Mireille Guggenbühler

Aurelia, Du hast Deiner Schule einen Brief geschrieben, in welchem Du das Lehrerkollegium aufforderst, das Thema Stress etwas ernster zu nehmen. Wie war die Reaktion darauf?

Ich bekam bis jetzt zwei Rückmeldungen. Mein Klassenlehrer hat mir einen langen Brief geschrieben. Er meinte, dass es den meisten Schülerinnen und Schülern in unserer Klasse gut geht und dass im 8. Schuljahr naturgemäss Stress aufkomme. Er will den Brief aber auch als Anlass nehmen, in einer pädagogischen Konferenz zu besprechen wie man vermeiden kann, dass alle Lernkontrollen auf einmal stattfinden.

Weshalb hast Du den Weg über den Brief gewählt und nicht das Gespräch gesucht?

Ich dachte mir, dass ihn so alle lesen  und somit dasselbe wissen über mich.

 Inwiefern fühlst Du Dich ernst genommen mit Deinem Anliegen?

Ich glaube trotz der beiden Rückmeldungen nicht, dass sie mein Anliegen wirklich verstanden haben.

Regierungsrätin Christine Häsler hat festgehalten, dass aufgrund der gesamten Schulsituation wegen Corona, bis zu den Sommerferien notenrelevante Beurteilungen zurückhaltend erfolgen sollen und nur jene Leistungen in die Gesamtbeurteilung einfliessen, die für die Schülerin oder den Schüler eine Verbesserung darstellen. Zudem dürfen nur Kompetenzen geprüft werden, die ausreichend vertieft und geübt werden konnten. Diese Weisung nimmt euch vielleicht etwas den Druck - oder was denkst Du?

Doch, ich denke, das nimmt bestimmt etwas Druck weg, aber mir geht es ja auch darum, dass es der nächsten 8. Klasse nicht gleich ergeht. Ich wünsche mir eine dauerhafte Veränderung, welche nicht nur in einer Krisensituation anhält.

Findest Du Noten grundsätzlich sinnvoll?

Ich finde, wenn es schon Noten gibt, sollten sie nicht dazu gebraucht werden um einem Schüler zu zeigen, wie gut oder schlecht er ist, sondern um einem Lehrer zu zeigen, ob er sein Thema verständlich erklärt hat oder ob er es nochmals vertiefen muss.

“Noten zeigen,ob ein Lehrer ein Thema verständlich erklärt hat oder nicht.”

Würden Jugendliche genug lernen, wenn sie keine Noten bekommen würden?

Die meisten Jugendlichen würden nur noch das lernen, bei welchem sie einen Sinn dahinter sehen. Und um einen Sinn zu sehen, brauchen sie ein Ziel. Ein Ziel ist zum Beispiel ein Berufswunsch oder ein anderes Projekt. Wenn sie nun wissen, das sie für diesen Beruf Französisch können müssen, dann hat das Französischlernen einen Sinn. Es macht ihnen Spass, es geht leichter und schneller.

Ist es nicht so, dass die meisten Jugendlichen die Noten grundsätzlich schätzen, um zu wissen, woran sie sind?

Nein, ich denke nicht. Wenn man in einem Englischwörtertest eine gute Note hat, bedeutet das nicht unbedingt, dass man gut Englisch kann, sondern dass man gut auswendig lernen kann.

Was wäre in Deinen Augen eine gute Form der Beurteilung oder Rückmeldung auf den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler?

Also, ich denke bei einem natürlichen Lernprozess merkt man gar nicht, dass man am Lernen ist. Man sammelt einfach Erfahrungen. Deswegen finde ich nicht, dass es möglich ist, einen richtigen Lernprozess zu beurteilen. Man kann höchstens über die gesammelten Erkenntnisse sprechen.

“Einen richtigen Lernprozess kann man nicht beurteilen.”

Du hast selber verschiedene Schulformen erlebt. Was waren Deine bisher besten Erfahrungen und warum?

Ich habe während meiner Schulzeit verschiedene Praktikas machen können, beispielsweise bei den Schafen auf der Winterweide, in der Theaterschneiderei und auf der Alp. Dabei machte ich viele tolle Erfahrungen. Alles, was ich dort machen konnte, ergab einen Sinn, war realitätsnah und ich konnte mit meinen Einsätzen stets jemandem helfen. 

Wie sähe aus Deiner Sicht die ideale Schule aus und welches wären die Rollen der Lehrkräfte, der Schulleitung und der Eltern?

Ich finde, die Schule sollte ein Ort sein, an dem Wissen ausgetauscht werden kann und nicht eingetrichtert wird. Lehrkräfte wären Personen mit einem grossen Wissen auf einem speziellen Gebiet wie zum Beispiel Mathematiker, Astronauten, Gärtner, Aktionäre, Putzfrauen usw. Ihre Rolle dabei wäre, den interessierten Kindern und Jugendlichen sowie Erwachsenen ihr Wissen weiterzugeben und zwar, sobald und solange sie Interesse haben. Die Rolle der Schulleitung wäre es dann, die entsprechenden Menschen miteinander zu verbinden und allenfalls Neue zu suchen. Die schwierigste Rolle haben die Eltern. Sie sollten ihrem Kind einfach mal vertrauen. Auch wenn es zum Beispiel mit zehn Jahren noch nicht lesen kann. Es sah bis jetzt wahrscheinlich einfach keinen Sinn dafür. Es wird aber bestimmt nicht sein Leben lang fragen wollen: „Was steht da?“ .

“Eltern sollten ihrem Kind einfach mal vertrauen.”

Wie hast Du die Corona-Zeit erlebt als Schülerin?

Wir hatten viel mehr Freiheiten. Wir mussten die Aufgaben schon zu einer bestimmten Zeit abgeben, aber wir mussten nicht zu einer bestimmten Zeit anwesend sein oder das lernen, was auf dem Stundenplan stand. Wir konnten dann lernen, wann es für uns am einfachsten ging. Das war sehr erleichternd.

Was denkst Du, was sollten die Schulen aus der Corona-Zeit mitnehmen in die Zukunft?

Dass es den Schülern sehr viel bedeutet, ihre Zeit selbst einteilen zu können. In den Schulen könnte man sich auch folgendes überlegen: Wenn gewisse Aufträge nicht erledigt worden sind, dann entsprechen diese Themen vielleicht gar nicht unserem Alter oder Lebensabschnitt. Vielleicht würde es zum Beispiel mehr Sinn machen, über die aktuelle Situation zu sprechen, als über den 2. Weltkrieg.

Lust auf Leistung ohne Noten

Schülerinnen und Schüler wollen Rückmeldungen auf ihr Lernen. Doch: Nicht in Form von Noten, sondern gezielten Reflexionen über das eigene Lernen und Gesprächen mit der Lehrperson.

Maurizio Sederino

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und jede Schule soll Kinder und Jugendliche für das Leben in unserer Gesellschaft vorbereiten. Aus diesem Grund müssen Leistungen und Leistungsziele verlangt werden. Kinder und Jugendliche wollen gefördert und gefordert werden. Die Schule soll gesteckte Lernziele durch Lernkontrollen überprüfen und Lehrpersonen anhalten, immer wieder Rückmeldungen zu geben. Kinder, Jugendliche und Erwachsene wollen sich vergleichen und messen. Man denke nur an Sport und Spiel. Daneben ist auch die soziale Anerkennung für jeden Menschen bedeutend. Etwas geschafft zu haben, besser zu sein als der Vater im Tischtennis, etwas Können, das man vorher nicht konnte, ist die Triebfeder fürs weitere Wollen. Die Schule muss die Lust, die Neugier und das Interesse fürs Lernen und Können wecken.

Mit der 3-D Brille beobachten

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Doch: Der Lohn, etwas geschafft zu haben, muss nicht als Ziffer mitgeteilt werden. Im Lehrplan 21 sind die Grundanforderungen in jedem Fach und in jedem Zyklus ausführlich beschrieben. Werden diese Minimalziele erreicht, und dies ist fast immer der Fall, ist die Note überflüssig und die Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie die Mindestanforderungen erfüllt haben. Das weitere Lernen gehört der Kür.

Lehrpersonen sollten ihre Schülerinnen und Schüler einerseits sehr gut kennen lernen und andererseits individuell mit einer «3-D-Brille» begutachten, nämlich in ihrem Lernen, ihrem momentanen Können und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung.

Mit dem Lernen meine ich das Lernniveau, die Lerngeschwindigkeit, den Lernrhythmus – ausgerichtet auf das persönliche Lernziel.

Unter Können sind die im Lehrplan 21 beschriebenen Kompetenzen gemeint.

Persönlichkeitsbildung soll insbesondere durch Reflexion und Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern erfolgen. Zur Persönlichkeitsbildung gehören Empathie, Teamfähigkeit, Respekt, Fairness, Aufrichtigkeit, Flexibilität, Begeisterungsfähigkeit (Mut, Sinn, Werte, Ehrgeiz), Durchhaltevermögen (Disziplin, Selbstvertrauen), Konzentrationsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Weitsicht und vieles mehr.

Die mathematische Formel

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Leistungen sind immer eine Funktion von WOLLEN x KÖNNEN x MÖGLICHKEITEN.

Mozart ist ein gutes Beispiel, um dies zu veranschaulichen. Mozart war sehr motiviert: Dafür erhält er die Note „Eins“ im Wollen.

Er war extrem begabt: Dafür gibts eine „Eins“ im Können (die Note Eins entspricht in Österreich, dem Heimatland Mozarts, der Schweizer Bestnote Sechs) und er wuchs in einer musikalischen perfekten Umgebung auf: Das gibt nochmals eine „Eins“.

Eins mal eins mal eins gibt die Bestnote, die Eins. Stellt man sich vor, Mozarts Vater hätte ihn nur halb so stark gefördert: Eins mal eins mal 0,5 gibt 0,5. Wir hätten einen Mozart mit halber Leistung. (Lutz Jänke, Professor für Neuropsychologie, Zürich).

Die Leistungsbereitschaft ist verschieden

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Was ein Kind/Jugendlicher/Erwachsener will, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Der frühen Prägung, der Erziehung, dem aktuellen Umfeld, der persönlichen und beruflichen Situation, von besonderen Bedürfnissen und gesetzten Ziele .

Es ist demnach nicht so, dass alle dasselbe wollen und dadurch in der täglichen Arbeit auch nicht dieselbe Leistungsbereitschaft mitbringen. Die grosse Herausforderung in der Arbeit mit Kindern ist es, das Wollen zu wecken, also die Motivation. Wollen ist die grundlegende Bedingung für Leistung – doch das allein reicht auch noch nicht.

Die Leistungsfähigkeit bedingt Kenntnisse

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Wer etwas tun will, muss es auch tun können, d. h. er und sie brauchen Wissen, Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung. Dies wird einerseits durch den Erwerb von fachlichen Kompetenzen und Qualifikationen erreicht, andererseits aber auch durch persönliche Kompetenzen wie Selbst- und Sozialkompetenz.

Das Fördern und Fordern von Schülerinnen und Schülern durch gezielte Bildung und Ausbildung oder Coaching trägt einen grossen Teil dazu bei, leistungsfähiger zu werden. Ob jemand will, kann man daran erkennen, ob er bereit ist, sein Können zu steigern, also zu lernen.

 Die Leistungsgrundlagen sind vererbt

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«Wie die Mutter so die Tochter – wie der Vater so der Sohn», sagt der Volksmund. Und sehr oft ähneln Kinder tatsächlich in vielen Belangen ihren Eltern. Vor allem körperliche Merkmale werden vererbt. Der Bauplan des Lebens liegt in den Genen und diese bestimmen mit, was aus uns wird. Ungefähr 25.000 Gene befinden sich auf den Chromosomen.

Doch was haben Gene mit der Entwicklung unserer Persönlichkeit zu tun? So scheinen uns Temperament, Ängstlichkeit oder Aggressivität in gewissem Maße mit in die Wiege gelegt zu werden. Die Ausprägung aber, diese wird am Ende stark von der Umwelt beeinflusst.

Theoretisch also wissen oder wüssten wir heute nun einiges darüber, wie Leistungen entstehen - und wie man sinnvolle Rückmeldungen darauf geben könnte. Ob oder wieviel schulische Leistungen am Ende aber auch zu Glück und Erfolg und einem gelungenen Leben führen, das ist eine andere Frage.

«Lasst die Kinder in Ruhe!»

«Lasst die Kinder in Ruhe!»

Tabea Reusser ist freischaffende Fotografin, Mutter dreier Buben – und für uns eine Inspiration. Ein Porträt in Bildern.

AUFZEICHNUNG — SARAH PFÄFFLI

18 SEP 2019

BILDER — TABEA REUSSER

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Es gibt Menschen, die haben diese gewisse Ausstrahlung. Wenn man mit ihnen Zeit verbringt, wirkt alles ein wenig leichter und schöner. So ergeht es mir mit Tabea Reusser (36). Die freischaffende Fotografin, Autorin und Mitinitiantin des Projekts Raumfrei lebt mit ihrem Freund Céderic und ihren drei Söhnen Dean, Juul und Nouri in Thun. Ich kenne sie noch nicht lang, und unsere Leben sind reichlich verschieden. Aber jedes Mal, wenn ich sie treffe, fühlt sich dieses Muttersein wieder einfach und logisch an und das ach so anstrengende  Leben schöner und reicher. Und dabei tut sie nicht so, als gäbe es keine Probleme auf der Welt oder habe sie alles total im Griff (von solchen Menschen möge man sich bitte fernhalten). Sie ist mir eine Inspiration, ihr Zitat «Lasst die Kinder in Ruhe!» hängt bei mir in der Küche und ist auch mir zum Motto geworden, und ihr schönes Kinderbuch (das wir übrigens hier einmal verlosen*) transportiert dieses Gefühl auch zu den Kindern.


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«Wir Eltern nehmen uns zu wichtig»

«Wir Eltern nehmen uns oft zu wichtig. Man kann es etwas lockerer angehen. Sie machen ihren Weg eh! Mein Leitsatz lautet: Lasst die Kinder in Ruhe! Statt – nein, das ist gefährlich! He, pass auf! Du musst teilen! Hast du die blaue Hose angezogen? – Lasst die Kinder doch einfach in Ruhe! Das ist für beide Seiten ein Gewinn. Die Kinder können spielen, ohne dass ständig jemand dreinredet, und wir Erwachsenen haben Zeit für uns.»

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«Wir dürfen den Kindern etwas zutrauen»

«Wir dürfen den Kindern vertrauen und etwas zutrauen. Natürlich kann ein einjähriges Kind nicht selber entscheiden, ob es bei -10 Grad keine Jacke anziehen will. Aber für jene Situationen, für die sie Verantwortung übernehmen können, sollen wir sie ihnen auch übergeben. Mir ist es zum Beispiel egal, ob meine Kinder barfuss im Schnee rumrennen.»

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«Aus jedem Müssen ein Dürfen machen»

«Vor kurzem ist Dean  an einem Morgen grimmig aufgestanden und sagte: ‹Ah mann, ich muss in den Kindergarten. Mein Mann entgegnete: ‹Nein, du darfst.› Dean wieder: ‹Nein, ich muss.› Nach einer Weile, fragte Dean dann Céderic: ‹Musst du arbeiten oder darfst du arbeiten?›  – Ich versuche aus jedem Müssen ein Dürfen zu machen. Immer da, wo man gerade ist, das Beste zu machen.»

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«Wie wichtig ist diese Regel?»

«Natürlich gibts bei uns auch Stresssituationen. Ich frage mich aber dann immer wieder, wenn ich den Impuls verspüre, etwas zu sagen: Ist das nun wirklich notwendig? Muss es nun wirklich so sein? Darf das Kind wirklich erst um 15:30 Uhr am Tisch Zvieri essen? Ist da ein striktes Nein von meiner Seite wirklich die einzige Lösung? Wie wichtig ist diese Regel?»

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«Die Situation ist immer neutral»

«Am Ende geht es mir darum, dass wir nur dieses Leben in diesem Körper haben. Und ich möchte an möglichst vielen Tagen ein gutes Leben haben. Das habe ich nicht, wenn ich blindlings herumlaufe und das Gefühl habe, ich sei ein Opfer – der Gesellschaft, der Familie, der Freunde, meiner Arbeit. Wenn dein Job dich anscheisst: Dann mach etwas! Wenn du unglücklich bist in der Beziehung: Dann tu etwas! Steh für dich ein. Natürlich ist nicht immer alles rosarot und super. Aber geht es doch darum, was wir darüber denken. Die Situation ist immer neutral. Wir entscheiden darüber, wie wir sie sehen.»

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«Es hat immer mit einem selber zu tun»

«Ich habe einmal etwas gelesen, das mir geblieben ist: Wenn ich mehr als 2 Minuten wütend auf jemanden bin oder in irgendeiner Art darauf reagiere, hat es immer mit mir selber zu tun.»

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«Hör auf dich!»

«Ich will meine Kinder stärken und ermutigen, dass sie Dinge nicht machen müssen, nur weil es ihre Freunde gut finden. Sie sollen sich selber eine Meinung bilden. Ich sage ihnen immer: Hör auf dich! Sei du selbst! Wenn dir das gefällt, dann mach das! Wenn es dir nur wegen den anderen gefällt, dann überleg nochmal ob du das machen willst.»

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«Mitschwimmen ist keine Option»

«Ich finde es wichtig, dass Kinder ihren Glauben ans Unmögliche beibehalten können. Dass sie mutig und auch mal anderer Meinung sind. Mitschwimmen ist für mich keine Option.»

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«Gewohnheiten durchbrechen»

«Ich durchbreche gerne Gewohnheiten. Das hält mich wach und macht mir Freude. Wie Pippi so schön sagt: ‹Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe. › »

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«Gell, hier darf ich selber entscheiden?»

«Meine Kinder fragen mich oft: ‹Gell, hier darf ich selber entscheiden?› Und ab und zu entscheide ganz klar einfach ich.»

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«Es geht nicht, dass jeder sein Zeug rumschmeisst»

«Mir ist Respekt und Mitgefühl wichtig. Es geht nicht, dass jeder sein Zeug in der Wohnung rumschmeisst und liegen lässt. Wir sind zu fünft, jeder darf für sich schauen, solange es nicht auf Kosten der andern Familienmitglieder geht. Ich versuche auch da, immer wieder die Mitte zu finden »

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«Meine heilige Zeit»

«Ich habe auch meine klaren Grenzen. Wir haben fix mindestens eine Stunde Mittagspause. In dieser Zeit will ich nichts von den Kindern hören. Meine heilige Zeit.»

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«Je besser es mir geht, desto mehr Zeit habe ich für andere»

«Viele haben Mühe mit diesem ganzen Achtsamkeits-Trend, weil er so wahnsinnig selbstzentriert erscheint. Aber wenn wir Erwachsenen gut zu uns sind und zu uns schauen, wird unser Rucksack kleiner. Je besser es mir geht, desto mehr Zeit habe ich für andere. Wenn es mir schlecht geht und ich überfordert bin mit meinem eigenen Leben, habe ich null Kapazität, noch nach links oder rechts zu schauen und die anderen Menschen wahrzunehmen. Deshalb fängt es immer zuerst bei einem selber an. Das hat nichts mit Egoismus zu tun.»

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«Man darf auch mal umfallen»

«Ich kann mit meinen Kindern über meine Gefühle sprechen und ehrlich sagen: Schau, manche Dinge machen mir Angst, manche Dinge kann ich nicht so gut, und manche Dinge kann ich sehr gut. Ich darf auch mal umfallen. Das finde ich so unheimlich wichtig. Dass ich aus jeder Erfahrung lernen darf, aus jeder!»

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«Nach einem Fehler nicht drei Tage heulen»

«Dass ich mal ein Kind packe, weil ich wütend bin – das passiert auch. Aber das gehört doch auch dazu. Da bin ich am Lernen. Ich versuche: Mich nicht zu verurteilen, und meine Kinder auch nicht. Wir haben alle mal einen schlechten Tag. Aber ich versuche, dem nicht ein riesen Gewicht zu verleihen und noch drei Tage lang zu heulen. Das sind alles auch wieder Erfahrungen! Je mehr negative Energie man wieder da reinsteckt, indem man sich selber verurteilt, desto mehr Energie schluckt das. Sich entschuldigen ist eine andere Sache. Natürlich darf ich aus solchen Situationen lernen. Aber wie viel Energie geht doch immer verloren, wenn wir mit unseren Gedanken zu fest in der Vergangenheit hängen oder zu sehr in die Zukunft schweifen. Jetzt ist Jetzt. »

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«Ich habe noch nie ein Kind gesehen, das nicht lernen will»

«Früher brauchten die Gesellschaft und die Wirtschaft vor allem Leute, die auswendig lernen können. Heute brauchen wir Menschen, die selbständig sind, kreativ und vernetzt denken, die eine hohe Sozialkompetenz haben und selbstorganisiert arbeiten. Was spielt es auf alles gesehen für eine Rolle, ob man mit 7 Jahren lesen kann oder erst mit 11? Die Kinder eigenen sich schon das Wissen an. Da ist wieder Vertrauen gefragt. Sie wollen ja! Ich habe noch nie ein kleines Kind gesehen, das nicht Neues lernen will. Dass sie glücklich sind und mit Begeisterung durchs Leben kommen: Das ist mein Ziel. Wenn kleine Kinder heute schon sagen, ich freue mich auf die Ferien und den Alltag mag ich nicht: Dann frage ich mich schon, ob wir das richtig machen.»

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«Meditieren beim Wäscheaufhängen»

«Meditation kann man ganz gut den ganzen Tag praktizieren. Eine liebe Freundin von mir hat einmal gesagt, du musst nicht zwingend jeden Tag eine halbe Stunde meditieren, du kannst das ganze einfach in den Alltag einfliessen lassen. Z.B. beim Wäsche aufhängen: Bewusst jedes einzelne Kleidungstück aufhängen und vielleicht sogar bei jedem aufgehängten Kleid an einen Menschen denken. Nicht schnell, schnell noch einkaufen gehen, sondern den Weg dorthin geniessen und die Welt anschauen. Seit diesem Rat hat sich einiges für mich verändert.»

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«Wer will ich sein?»

«Ich will mit meinem Buch den Kindern und Erwachsenen vermitteln, dass sie selber entscheiden können, wer sie sein wollen. Nicht nur: Ein Pilot oder ein Feuerwehrmann? Sondern auch: Will ich eine aufmerksame Zuhörerin sein? Will ich meinen Bruder schlagen? Will ich von meinem Daheim bis zur Kita tanzen? Will ich eine nachtragende Person sein? Will ich immer genau gleich reagieren? Will ich dankbar sein für das, was ich habe?»

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«Schmerzen wegblasen»

Wenn einer meiner Söhne zum Beispiel Bauchweh hat, dann sage ich gern: Sprich mit ihm, sag dem Bauchweh Hallo und dann gib ihm ganz klar zu verstehen, dass es nun wieder weg kann. Du brauchst es nicht mehr  Oder, was auch hilft: Die Schmerzen wegblasen, oft hängen sie dann irgendwo an einem Baum. Oder: Ich habe dich nicht eingeladen, du kannst nun wieder gehen. Mir ist die Selbstheilungskraft sehr wichtig, und die beginnt mit guten Gedanken. Worauf lege ich meinen Fokus? Auch ein Dankesgebet oder ein wilder Indianertanz kann helfen, die ‹bösen Geister› zu vertreiben.»

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«Wagt Abenteuer!»

«Wenn ich meinen Kindern etwas auf den Weg geben kann, dann vielleicht das: Übernehmt Verantwortung, macht mutige Dinge, wagt Abenteuer, geht einen Schritt weiter, als ihr es euch vielleicht zutraut und macht alles mit viel Liebe!»

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«Anderen gegenüber barmherzig oder neutral sein. Oder es versuchen»

«Wir kennen das alle: Man sieht jemanden, liest etwas, oder hört einer Person zu, und dann passiert es – ganz schnell kriecht ein blöder Gedanke in den Kopf und be- oder verurteilt die andere Person. ‹Dieser Rock!› oder ‹wieso macht die das andauernd?›, oder ‹was der arbeitet dort?›. Ich werde nie die andere Person sein und ich werde nie alle Beweggründe für irgendwelche Handlungen erfahren. Deshalb: Wer gibt mir das Recht dazu, zu urteilen? Bin ich besser? Wenn ich davon ausgehe, dass jeder in seiner Lage sein Bestmögliches gibt, gibt es keine Grundlage für Verurteilungen. Also bin ich barmherzig und neutral mit meinem Gegenüber. Oder versuche es zumindest oft, haha.»